Die Mundart-Misch-Maschine 2

Das Hüsli

Seit zwei Tagen nenne ich ein kleines Haus mein eigen; oder wie man hier sagt: “ ’s Hüsli“. Ich habe es weder gebaut noch bezahlt; es wurde mir (und meinem Hund) vom Förderkreis „Kreatives Eisenbach“ drei Monate lang für eine Schreibklausur zur Verfügung gestellt.[1] Es ist also nur „geborgt“. Trotzdem – oder vielleicht gerade deswegen – fühle ich mich dort geborgen.

Mein erster Schwarzwald-Aufenthalt liegt nun über dreißig Jahre zurück. Es war Winter. Mir war ständig kalt, ich hatte keine Lust auf Skifahren und war zu allem Überfluss auch noch unglücklich verliebt. Abends begann es zu schneien; ich saß allein im Zimmer und schaute aus dem Fenster auf die nachtdunkle, menschenleere Straße. Gegenüber stand ein massiges Haus. Lediglich ein Zimmer war spärlich erleuchtet. Kein Mensch war in dieser Stube zu sehen. Im Schummerlicht erahnte ich schwere holzgeschnitzte Möbelstücke und war mir nicht sicher, ob ich die Szenerie traditionell oder spießig finden sollte. Gleichzeitig überkam mich eine Art Heimweh, eine nostalgische Sehnsucht nach Heimeligkeit (heute würde man diesen Zustand vermutlich hyggelig nennen). Wie gesagt – es ging mir nicht gut. Da ist man empfänglich für Sentimentalitäten.

Erst am nächsten Morgen bemerkte ich, dass die Projektionsfläche meiner Heimatgefühle in Wirklichkeit das Schaufenster einer Möbelschreinerei war. Das war mir dann ein bisschen peinlich.

Aber diese Sehnsucht nach Geborgenheit blieb – auch wenn die nächsten Jahre rastlos wurden. Wir sind viel umgezogen und schleppten einen wachsenden Berg alter Dinge mit uns, die wir euphemistisch als „Antiquitäten“ bezeichneten. Aber eigentlich waren es: alte Dinge, die Geschichten erzählten. Eine Art geborgter Sesshaftigkeit und generationenübergreifender Stabilität. Begriffe, die wir vermutlich eher kritisch sahen. Wir hatten genug damit zu tun, uns abzunabeln. Was hatten wir? Alltag. Stress. Karriere. Aber hatten wir auch Geschichten, die sich zu erzählen lohnten? Natürlich. Aber damals begriffen wir das nicht. Wir lebten ein normales Leben. Nichts Besonderes. Dachten wir. Uns fehlte der Überblick.

Von Zeit zu Zeit merkten wir, dass wir uns mit den alten Dingen vom Sperrmüll oder von Flohmärkten auch böse Geister ins Haus geholt hatten. Dann war es eine spürbare Erleichterung sich von dem Kram zu trennen. Ausmisten nannten wir es. Jahre später zogen wir in ein Haus, und seitdem füllen sich Keller und Speicher. „Das behalten wir für die Enkel“, sagen wir manchmal. Oder: „Irgendwann kann man das sicher nochmal brauchen. Oder auf dem Flohmarkt verkaufen …“ Manchmal träumen wir von Enkeln. Manchmal von einem großen Container. War es nicht erst gestern, als wir dieses Kinderspielzeug kauften? Welche Geschichten wird der zerschlissene Teddybär einmal erzählen? Welche der wunderhübsche aber unbequeme Stuhl mit der geschnitzten Rückenlehne?

Aber zurück zu „meinem“ Hüsli. Vor meiner Anreise hatte ich eigentlich nur eine Sorge: dass es dort kalt und dunkel sein könnte. Als wir durch die dichten Wälder fuhren, die das Dorf umgeben, und ich zwischen den Bäumen letzte Schneereste sah, spürte ich ein wenig Beklemmung. Aber auf fast 1000 Höhenmetern öffnete sich ein bezauberndes Hochtal, auf dessen weiten Flächen die Häuser wie zufällig verstreut lagen.

Ich wohne nun in den „Harzerhäusern“. Hier lebten diejenigen, die im 17. Jahrhundert in die Wälder zogen, um Baumharz zu gewinnen. Deshalb sind einige der Häuser auch über 200 Jahre alt. „Meines“ ist sicher jünger. Es wurde vor kurzem umgebaut, und ich bin der erste fremde Gast. Im Schlafzimmer und auf dem Gang riecht es nach frischem Holz. Aber über dem Telefontischchen ist die Wand wie von Holzwürmern durchlöchert – hier hingen wohl jahrzehntelang unzählige Notizzettel. Einkaufslisten, Notfallnummern, Müllkalender? Was erzählen mir diese Spuren? Unter Laminat und PVC ertasten meine Sohlen den alten Dielenboden, und siehe da: Einige Zimmer sind noch nicht hergerichtet. Dort liegen noch uralte Bohlen, richtig dicke Bretter, die knarrend davon erzählen, wie Häuser gebaut wurden, als es noch keine Dämmschutzrichtlinien gab, der Fertigbau noch nicht erfunden war, und man als Baumaterial nur das nahm, was die nähere Region hergab.

Ich fühle mich ein bisschen wie im Märchen, in dem ein Kind das streng verbotene Zimmer betritt – aber hier ist nichts ist abgeschlossen. Also stöbere ich ein bisschen, finde eine Hutschachtel und ein Fahrrad und andere Erinnerungsstücke, die mir erzählen, dass hier eine lebhafte und offenbar auch künstlerisch angehauchte Familie lebte. Viele selbstgemalte Bilder hängen an den Wänden Die Kinderbilder, die liebevoll gerahmt wurden, gefallen mir besonders gut.

 

Ganz anders der Keller – hier könnte eine meiner Geschichten spielen – eine der düstersten. Wieder oben angekommen, schließe ich die Tür sorgfältig und lausche. Nichts. Lediglich vor kleinen, kugelrunden braunen Käfern wurde ich gewarnt – die seien aber harmlos. Ich solle lediglich die Lebensmittel gut verschließen.

haus-keller-eisenbach

Natürlich hat mein Haus auch eine Nummer. Zusätzlich haben viele Häuser hier auch einen eigenen Namen. Nebenan steht das Bierhäusle. Ab 17.00 Uhr gibt es dort eine herzhafte Vesper und die passenden Getränke. Etwas weiter weg steht ein Haus mit überraschend italienisch klingendem Namen. Am zweiten Tag grüßen mich dort die Nachbarn. Erste Geschichten tun sich auf.

Kein Krimi. Keine Leichen im Keller. Alltag aus zwei Jahrhunderten. Stumme Zeugen im Haus.  Aber nachts, wenn es draußen still ist, ganz still – dann knarrt und seufzt das Hüsli.

Ich werde viel Zeit haben, genau hinzuhören.

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lesereise06 - Kopie

 

[1] Natürlich schreibt mein Hund nicht. Aber er diskutiert gern seine Sicht der Dinge. Django wird auch noch zu Wort kommen. Ich bin gespannt …

 

2 Kommentare

  1. Mir ging es ebenfalls so, als ich vor 6 Jahren hierhinzog… ich fuhr durch den dunklen Wald und war damals so unglücklich meine Heimat hinter mir zu lassen… und dann ist man auf der Hochebene mit dieser weiten Aussicht. Das ist einer der bezaubernden Flecken im Schwarzwald, zweifellos. Viel Spass in den 3 Monaten als Dorfschreiberin.

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