Die Mundart-Misch-Maschine 9

Ich habe Flausis … nein, keine Flausen im Kopf

Neuerdings verbringe ich abends viel Zeit an meinem Schlafzimmerfenster. Nein, ich warte nicht auf einen gutgebauten Jüngling. Im Schwarzwald wird (soweit ich weiß) nicht gefensterlt. Die Objekte meiner Begierde sind zwar männlich, aber unsere Lebensrhythmen liegen doch ziemlich weit auseinander: Wenn ich aufstehe, gehen sie schlafen.

Die Rede ist von Fledermäusen.

Wer mich kennt, weiß, dass ich eine typische „Morgenlerche“ bin. Wenn mich die Sonne weckt, sitze ich manchmal schon kurz nach fünf am Schreibtisch. Vor kurzem weckte mich aber (deutlich vor Sonnenaufgang) etwas anderes: Es raschelte und piepste ganz in meiner Nähe, und als ich dann noch eindeutige „Köttelchen“ fand, war der Fall  klar: Mäuse.

Stimmt. Beinahe.

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Bei näherer Betrachtung zeigte sich nämlich, dass der Kot staubtrocken war und merkwürdig glitzernde Bestandteile enthielt. Flügeldecken von Insekten. Merkwürdig. Soweit ich weiß, fressen Mäuse hauptsächlich Pflanzenkost. Ich tat das, was bei einer Krimiautorin zum Fähigkeitsnachweis gehört: Tatortsicherung und Spurensuche. Und entdeckte hinter dem hölzernen Fensterladen meines Schlafzimmerfensters eine kleine Fledermauskolonie.

 

In Baden-Württemberg leben zwanzig verschiedene Arten dieser kleinen Säugetiere und in meinem Heimatort, Gottmadingen, gibt es auf dem Dachboden der Grundschule eine Kolonie von „Großen Mausohren“, deshalb war ich schon ein wenig mit diesem Thema vertraut. Hier ein Video, das zeigt, wie lebhaft es in der Gottmadinger Kolonie zugeht.

In den folgenden Tagen sollte mir klar werden, wie wenig ich eigentlich über Fledermäuse weiß (das ändert sich gerade …). Fledermäuse paaren sich normalerweise im Herbst und die Weibchen bilden nach der Geburt der Jungen sogenannte „Wochenstuben“. Wenn sie nachts zur Jagd ausfliegen, kommen sie zwischendurch immer wieder zurück, um ihre Jungen zu säugen. Manche Arten wechseln auch die Quartiere und nehmen dabei ihre Jungen mit; d.h. solange die Jungtiere noch nicht “flügge“ sind, klammern sie sich in Mamas Pelz und werden getragen. Meist muss nur ein einzelnes Jungtier transportiert werden. Ganz selten gibt es auch mal Zwillinge. Erst in den Winterquartieren treffen sich Männchen und Weibchen im Herbst wieder und paaren sich dann auch. Die Entwicklung des Embryos kann –je nach Witterung und Lebensbedingungen – verzögert werden. Spannend.

Wer wohnt denn nun bei mir? Sind es große Mausohren oder große Abendsegler? Eher nicht. Als „groß“ kann man meine Untermieter beim besten Willen nicht bezeichnen. Ich schätze sie auf ca. 5 cm Körperlänge. Nach einigen Tagen hatten wir uns aneinander gewöhnt, und sie reagierten neugierig, wenn ich mich abends an Fenster stellte und ein wenig schnalzte. So gelang es mir auch, die Kleinen zu fotografieren.

Mir gefielen ihre „Stupsnasen“ und die schwarzen Gesichtsmasken. Manchmal verschwanden sie ein paar Tage, dann kamen nur vier zurück, an manchen Tagen waren es über zwanzig und der „(Fenster)Laden war rappelvoll“.

 

Von Zeit zu Zeit blieb ein kleines Exemplar nachts allein zurück – etwa ein Jungtier?

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Dann kam der Morgen, als wir uns tatsächlich gegenseitig in die Augen blickten. Leise zwitschernd und mit ausgebreiteten Flügeln hangelten sich zwei Fledermäuse dicht an den Rand, und ich erkannte, dass dies eine wirklich sehr merkwürdige Art sein musste: Das Rückenfell war an den Spitzen hell gefärbt und an der Basis dunkelbraun.

fledermäuse detail

Ich beschloss meine Untermieter in einer Fledermausgruppe auf Facebook vorzustellen. Und löste damit einen Sturm der Begeisterung aus: Das seien Zweifarbfledermäuse, wurde ich belehrt. Etwas ganz Seltenes. Bisher seien einige wenige Männchenkolonien bekannt, und falls ein Jungtier dabei sei, sei das etwas ganz Ungewöhnliches.

Normalerweise wandern die trächtigen Weibchen nämlich ins Baltikum und ziehen ihre Jungen dort groß. Im Herbst ziehen sie zurück in die Winterquartiere.  Dabei flattern sie über 900 Kilometer, die längste durch Beringung nachgewiesene Wanderung ging weit über tausend Kilometer.

Warum nehmen die Weibchen diese beschwerliche Wanderung auf sich? Weil es im Baltikum etwas in rauen Mengen hat, was hier oben im Hochschwarzwald seltener ist: Mücken. Ich werde ein wenig nachdenklich, als ich das höre, da wir ja im August mit Fahrrad und Zelt im Baltikum unterwegs sein werden. Ich hoffe jedenfalls auf viele hungrige Zweifarb-Weibchen rund um unser Zelt … Zweifarbfledermäuse sind übrigens die einzigen Fledermäuse in Europa, die vier Zitzen haben und ziemlich regelmäßig Zwillinge zur Welt bringen. Sie können bis zu 12 Jahre alt werden.

Nun kannte ich meine Untermieter mit Vor-und Nachnamen, begrüßte sie ordnungsgemäß mit Hallo, Vespertilio murinus, freute mich tierisch, dass die Kleinen keine Angst vor mir hatten, setzte mich wieder an den Schreibtisch und dachte mir nichts weiter dabei. Aber im Hintergrund tat das Soziale Netzwerk das, was es am besten kann: Es verbindet Menschen. Während ich mit dem nächsten Kapitel meines Romans kämpfte, entwickelte sich in der Fledermausgruppe ein Mini-Hype um meine „Flausis“, wie sie eine Userin zärtlich nannte.

Und dann kam der Anruf von einem Mitarbeiter der AGF BW (Arbeitsgemeinschaft Fledermausschutz Baden Württemberg), der mich bzw. die Flausis gern besuchen wollte. Mir war das ein bisschen peinlich. Ich bin hier ja nur zu Gast und möchte meinen Vermietern, die mir das Haus so großzügig zur Verfügung stellten, keine Arbeit machen … Erschreckende Dinge gingen mir durch den Kopf: Tunnel, die nicht gebaut und Bäume, die nicht gefällt werden dürfen. Sauteure Umsiedelungsaktionen für Eidechsen und Juchtenkäfer. „Keine Angst“, wurde ich beruhigt. „Fledermäuse kann man nicht umsiedeln; ich will nur mal gucken. Umbaumaßnahmen am Haus sind nicht erforderlich.“ Einigermaßen beruhigt verriet ich ihm die Adresse und schließlich kamen zwei Experten mit Aufzeichnungsgeräten und einem Kofferraum von Spezialinstrumenten. Auch Karl Meister, unseren Förster hatte ich informiert. So konnte um halb Neun abends die Aktion Fledermaus-Monitoring starten.

Zuerst wurde Kot zur DNA-Bestimmung eingesammelt. Leider waren an diesem „großen Tag“ (bzw. Abend) nur vier oder fünf der geflügelten Bewohner daheim. Die anderen waren mal wieder umgezogen. Warum machen die das? Umziehen ist doch anstrengend und zeitaufwändig. Und wie stimmen die sich untereinander ab und entscheiden in welches Quartier sie fliegen?

Christian Dietz von der AGF erklärte das widersinnig erscheinende Verhalten. Je nach Witterung oder geändertem Futterangebot, ist es bequemer oder sicherer eine Zeitlang in ein anderes Quartier umzuziehen. Deshalb sollte man auch, wenn man vorhat Fledermäuse im eigenen Garten anzusiedeln, immer mehrere Fledermauskästen aufhängen. Aha. Und die Abstimmung? „Keine Ahnung“, gibt er zu. „Fledermäuse unterhalten sich zwar mit sogenannten Soziallauten, die wir hören können (im Unterschied zu den Ultraschallrufen mit denen sie jagen). Aber wie sie sich abstimmen? Schwarmintelligenz nehme ich an. Man kann beobachten, dass Fledermäuse eine Zeitlang hin und her schwärmen, so als ob sie die Flugrichtung „diskutieren“ und wenn sie sich einig sind, fliegt die ganze Gruppe in eine Richtung.“ Er erzählt von einem Quartier, das aufgegeben wurde, da sich direkt am Einflugloch ein Kauz positioniert hatte. Er kam pünktlich gegen 3.00 Uhr morgens, um einfliegende Fledermäuse wegzuschnappen und „sofort zu vespern“ – sozusagen Fast-Food für Greifvögel. Auch wenn so eine Kolonie manchmal mehrere Hundert Fledermäuse umfassen kann, ist das ein empfindlicher Aderlass. Also packten die Mütter ihre Jungen und zogen um. Und der AGF setzte einen fürchterlich hässlichen Plastik-Uhu mit riesigen Glasaugen neben das Flugloch. „Mal sehen, ob sich der echte Kauz abschrecken lässt“, meint Christian Dietz.

Wenn er auch nicht erklären kann, wie die Diskussion im Schwarm abläuft, versteht er doch recht gut „Fledermäusisch“ und übersetzt, was hinter dem Fensterladen gesprochen wird. Inzwischen ist es nämlich nach neun Uhr und es wird rasch dunkel. Und empfindlich kalt. Es ist zwar laut Kalender Mittsommer, aber in diesem Jahr beschert uns ein Tiefausläufer arktische Kaltluft und wir haben uns dicke Jacken angezogen. „Lass uns lieber heute Nacht kuscheln“, wispern die Fledermäuse. „Wenn es so kalt ist, fliegen sowieso keine Insekten.“ Eine einzelne ist jedoch hungrig und krabbelt langsam nach oben. „Hey“, beschweren sich die unten Hängenden. „Hör auf, auf unsere Köpfe zu pinkeln.“ – „Ich muss doch Ballast abwerfen, bevor ich starte“, antwortet die oben. „Kommt Jungs, wir rutschen mal rüber nach rechts.“ Knistern und Rascheln, der Trupp rutscht auf Seite und oben flutscht eine einzelne Fledermaus hinaus in die Nacht. Die anderen machen keinen Mucks mehr und wärmen sich gegenseitig. Es wird also nichts mit der großen Flugshow heute Abend, aber zumindest haben wir den zwitschernden Jagdruf fürs digitale Tonarchiv „im Kasten“.

Wer einmal den O#Ton unterschiedlicher Fledermausarten hören will,wird im Tonarchiv des NABU fündig.

Die Fledermausexperten haben mich jetzt auch überzeugt, den Wecker etwas früher zu stellen. Normalerweise stehe ich mit der Sonne auf. Aber etwa eine Stunde vor Sonnenaufgang „schwärmen“ die Fledermäuse und fliegen in ihr Quartier ein. In lauen Sommernächten ein faszinierendes Schauspiel. Ich werde es mir nicht entgehen lassen ….

Es sind noch einige Fragen offen und wir werden die Flausis weiter beobachten. Falls das kleine Exemplar, das manchmal nachts alleine blieb, tatsächlich ein Jungtier wäre, ist dies eine absolute Rarität, da in Deutschland für Zweifarbfledermäuse kaum Wochenstuben nachgewiesen sind. Es könnte sein, dass ein einzelnes Weibchen mit der Männergruppe mitgezogen ist. Aber das ist bis jetzt reine Spekulation. Sobald ich etwas weiß, werde ich berichten. Christian Dietz bestätigt auch, dass die Zweifarb-Fledermäuse tatsächlich zutraulich werden. „In der Aufzuchtstation werden die fast handzahm, sobald sie kapiert haben, dass die Menschen ihnen Mehlwürmer bringen.“ Soweit will ich aber nicht gehen – die sollen mir gern die nervigen Fliegen weiter wegfangen.

Übrigens: Es wird ja viel über das Bienen- und Insektensterben gesprochen. Unter Pestiziden und Herbiziden leiden auch die Fledermäuse. Wenn sie vergiftete Insekten fressen, gehen die Fledermäuse ebenfalls elend zugrunde oder erleiden Fehlgeburten. Wenn man sich überlegt, dass jede Fledermaus in der Regel nur ein Junges pro Jahr zur Welt bringt, wird klar, dass wir mit chemiefreien Gärten und Insektenschutz auch ganz nebenbei viel zum Schutz der Fledermäuse beitragen. Fledermäuse gehören zu den ältesten Säugetieren auf unserem Planeten – sie flattern schon seit über 50 Millionen Jahren durch die Nächte. Erste menschliche Siedlungen entstanden vor ca. 12.000 Jahren. Seitdem leben Fledermäuse und Menschen unter denselben Dächern. Es wäre schön, wenn das noch lange so bliebe.

Wie man ein Haus fledermausfreundlich (um)baut und andere Tipps, auch zum Umgang mit geschwächten Fundtieren etc. findet ihr auf der Seite des AGF BW.

Vielleicht treffen wir uns ja demnächst in einer Fledermausgruppe auf Facebook? ich habe jedenfalls ganz unerwartet ein faszinierendes Stückchen Natur entdeckt – direkt nebenan …

Spaßgehabt beim Lesen? Mehr über das Landleben in früheren Zeiten finden Sie zum Beispiel auch in meinem neuen Roman (zur Vorbestellung Klick aufs Cover): hütejunge-cover

3 Kommentare

  1. Die Fledermäuse leben schon lange, jedes Jahr wieder, hinter dem Fensterladen. Das hatte ich ganz vergessen zu erwähnen:-)
    Aber wir freuen uns, dass wir jetzt wissen was für besondere Exemplare dort nisten.
    Dann wird das Renovieren der Fensterläden noch etwas warten müssen.

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